Was macht ein typisches Sylter Friesenhaus aus? Von außen betrachtet liegt die Antwort auf der Hand: Selbstverständlich das Reetdach. Diese wogend weiche Dacheindeckung aus Schilf in ihren, je nach Alter des Daches, hellen Beige- bis erdigen Brauntönen erinnert sofort an den Strand und das Meer. In den Räumen sind weiße Einbaumöbel sehr beliebt, da sie den vorhandenen Platz optimal nutzen und die Zimmer hell und freundlich wirken lassen. Eben echte Friesenmöbel, oder etwa nicht? Tatsächlich ist der Trend zu hell lackierten, schlichten Einbaumöbeln noch recht jung. Und Friesenmöbel wiederum sind etwas anderes.
Wie die alten Friesen lebten
Vor zwei- bis dreihundert Jahren sahen die typischen Möbel eines Friesenhauses noch ganz anders aus als heute. Von außen mag sich das uthlandfriesische Haus, wie der typische Sylter Baustil bezeichnet wird, im Laufe der Zeit nur in einigen Details geändert haben. Im Inneren jedoch liegen Welten zwischen den warmen, lichtdurchfluteten Zimmern von heute und dem typischen Sylter Zuhause aus dem 18. Jahrhundert. Dunkler war es, nur schlecht beleuchtet und kaum beheizt.
Friesenhäuser früher: Kalt und dunkel
„Besonders in den Wintermonaten war es sehr kalt und finster in den Häusern“, erklärt Alexander Römer. Als Museumsleiter der Sölring Museen ist er auch für das Altfriesische Haus in Keitum zuständig, in dem die frühe Sylter Wohnkultur seit 1640 anschaulich dargestellt wird. „Strom gibt es auf Sylt erst seit rund einhundert Jahren. Das einzige künstliche Licht, das vorher zur Verfügung stand, war das von handgezogenen Kerzen aus Talg und Öllampen, die mit Walfischtran betrieben wurden.“
Geheizt wurde lediglich die Stube mit einem Bilegger-Ofen, auf Deutsch „Beileger-Ofen“. Beileger deshalb, weil er an die Feuerstelle in der Küche angeschlossen war. Die Delfter Fliesen, die sich wohlhabende Familien für ihre Stube mit dem Schiff einführen ließen, dienten nicht nur als Prestigeobjekt, sondern isolierten den Raum im Winter gut gegen die Kälte.
Einbaumöbel: Keine Erfindung der Moderne
Einbaumöbel hat es übrigens schon damals gegeben. Zur Zeit der alten Friesen waren nicht nur die Kleiderschränke fest verbaut, sondern auch der Alkoven: Eine kleine Schlafnische, in der mehrere Familienmitglieder gemeinsam, halb sitzend, auf Stroh und Decken geschlafen haben. Das mag nicht so bequem gewesen sein wie heute, half aber zumindest gut gegen die Kälte.
Schnitzereien und Verzierungen, wohin das Auge blickte
In wohlhabenden Häusern waren diese antiken Einbaumöbel aus Holz gefertigt, das vom benachbarten Festland herangeschafft wurde. Die ärmeren Bauernhäuser behalfen sich mit angespültem Treibholz oder den Planken havarierter Schiffe. Was die Möbel von damals deutlich von der heutigen Einrichtung unterscheidet, sind die aufwendigen Verzierungen: Die Schnitzereien auf Mangelbrettern beispielsweise, Vorgänger des Bügeleisens, erzählen ganze Geschichten. Ebenso die bereits erwähnten Delfter Fliesen, die oft biblische Geschichten in Bildern zeigten. Wer nicht lesen konnte, konnte so dennoch aus der Bibel lernen.
Heute: Elegante Schlichtheit mit kleinen Raffinessen
Die heutigen Möbel in Friesenhäusern dagegen sind meist geprägt von Schlichtheit und moderner Eleganz. Dieser Trend hat sich jedoch erst in den vergangenen 20 Jahren entwickelt, berichtet Tischler Björn Sievers: „In meiner Ausbildungszeit waren die Möbel noch sehr verspielt und verschnörkelt.“ 19 von 20 Kunden wünschen sich heute aber die klassischen, weißen Einbaumöbel.
Für Individualität sorgen nicht mehr aufwendige Schnitzereien, sondern besondere LED-Lichtelemente und ausgewählte Accessoires. „Schön finde ich, dass jetzt wieder mehr mit Naturholz gearbeitet wird“, freut sich der Tischler. Dann sind die Schränke weiß, aber beispielsweise die Abschlussleiste aus Eiche. Oder ein besonderes Möbelstück aus Naturholz ziert das Wohnzimmer als Blickfang.“
Friesenmöbel gehören in den Garten
All dies macht aus den Möbeln aber noch keine Friesenmöbel: „Im Grunde sprechen wir bei der Einrichtung eines Friesenhauses von Landhausmöbeln“, klärt Sievers auf. Denn wenn von Friesenmöbeln die Rede ist, geht es nicht um die Möbel im, sondern vor dem Haus: Gartenbänke, Tische und Stühle aus Holz, in typisch friesischer Optik. In der Tischlerei Kühl baut Sievers echte Sylter Friesenmöbel „nach antiken Skizzen und Zeichnungen, die bis in das 15. Jahrhundert zurückreichen”, erklärt der Tischlermeister.
Hier darf es auch heute noch verspielt und verschnörkelt zugehen. Ganz klassisch und das beliebteste Standardelement in den Möbeln sind aber die Kreuze. „Sie haben einen mystischen Ursprung und wurden auch vor dem Christentum bereits genutzt, um Hexen und böse Geister aus dem Haus fernzuhalten.“ Auch die Lyra ist ein beliebtes Stilelement in Friesenmöbeln: „Sie erinnert an eine Harfe und ist ein altes friesisches Glückssymbol.“
Lange haltbar
Gebaut werden die Möbel heute selbstverständlich nicht mehr aus Treibholz, sondern robustem Mahagoni. „So eine Bank hält leicht bis zu 40 Jahre.“ Farblich sind weiß lackierte Friesenmöbel in etwa ebenso beliebt wie die naturbelassene Variante, „die aber deutlich schneller verwittert und dann nicht mehr schön aussieht.“ Die Pflege der lackierten Möbel ist ebenfalls deutlich einfacher: Einmal im Jahr werden sie mit grüner Seife und etwas Wasser abgewaschen und etwa alle zehn Jahre neu lackiert.
Fotos: Tischlerei Kühl, Sylt Connected